Text, Everyday Carry, Büroausstattung, Schreibwaren, Stift, Allgemeine Versorgung, Quittung, Werkzeug, Bürobedarf, Im Haus, Zubehör, Tasche, Objekte, Boden

Reisen mit Diabetes – Mythen und Gerüchte [Gastbeitrag]

Ich habe seit mittlerweile 30 Jahren Typ 1 Diabetes. Vor vielen Jahren war das durchaus nicht so einfach wie heute die Welt mit Diabetes zu bereisen. Heute begegnen mir als Vielreisender mit Typ 1 Diabetes regelmäßig verschiedene Mythen und Gerüchte bzgl.

Fliegen mit Diabetes

Das passiert sowohl in Zeitschriften (sowohl in sog. Fachzeitschriften als auch in den kostenlosen Heften der Apotheken oder Pharmahersteller), in Blogs, aber auch direkt im Gespräch mit anderen Reisenden, z.B. an Bord.
Einige dieser Mythen möchte ich gerne aufklären.

„Manchmal müssen die Spritzen/Pens beim Flugpersonal abgegeben werden und man erhält diese nur bei Bedarf während des Flugs.“

Diesen Satz lese ich x-fach, speziell in Ratgebermagazinen verschiedener Apotheken, aber auch viel im Netz. Häufig wird speziell auf US-Airlines hingewiesen, aber egal wie: der Satz ist absoluter Quatsch. Noch bei keiner Airline habe ich erlebt, dass man irgendetwas vom Diabetes-Zubehör hätte abgeben müssen. Da hätten die Flugbegleiter auch jede Menge zu tun. Unabhängig davon: es ist und bleibt Blödsinn, hierüber bitte keine Gedanken machen.

„Insulin gehört im Flugzeug immer ins Handgepäck, da es im Frachtraum zu kalt ist.“

Hier sage ich bewusst „jein“. Eins ist falsch: im Frachtraum ist es definitiv nicht zu kalt. In einer A320 z.B. herrschen Temperaturen zwischen 5 und 26 Grad. Dennoch nehme ich mein Insulin etc. immer ins Handgepäck, aber eher um einem Verlust des Aufgabegepäcks vorzubeugen. Das ist mir einmal auf einem Flug von Auckland nach Nadi (Fidschi) abhandengekommen. Ich hatte zwar ausreichend Insulin, aber nur wenige Pennadeln und keine Freestyle Libre mehr. Ok, lösbare Probleme selbst in Apotheken auf den Fidschis, dennoch vermeidbar. Wenn ihr alleine reist ist die Aufteilung in Hand- und Aufgabegepäck bzgl. Diebstahl/Verlust durchaus zu empfehlen, reist ihr zu zweit verteilt die Sachen in eurem Handgepäck.

„DBML Menüs kosten extra“

DBML (= Abkürzung für ein Essen für Diabetiker) Menüs sind bei allen mir bekannten Airlines, die nicht nur Kurzstrecke fliegen, erhältlich, vorbestellbar – und kostenlos. Sprich wann immer es sowieso kostenloses Essen gibt, gibt es auch DBML Menüs. Ob man diese tatsächlich bestellen sollte ist eine andere Frage, ich verzichte mittlerweile darauf, da ich das „normale“ Essen sehr gut einschätzen kann und von dem permanenten Lachs mit Reis (den komischerweise sehr viele Airlines servieren) mittlerweile die Nase voll habe. Abgesehen davon erspart ihr euch auch andere kreative Menüs. British Airways hat mir kürzlich „vegetarisches Sushi“ als DBML-Menü serviert. Für mich den Vogel abgeschossen hat dabei, dass die Butter durch Margarine ersetzt wurde (was ja grundsätzlich ok ist) – und die Kondensmilch für den Kaffee durch eine Tüte Kaffeeweißer. Insofern: wenn ihr euren Diabetes im Griff habt nehmt das normale Essen bzw. in Business oder First Class sucht euch aus der Menükarte aus was ihr mögt.

„Die Airlines haben Blutzuckermessgeräte und Traubenzucker an Bord“

Ja, aber nicht alle. Es gab da mal eine „Airline Checkliste“ einer Pharmafirma wo solche Dinge abgeklappert wurden. Leider ist diese Checkliste mittlerweile sehr veraltet (Thema Air Berlin), zum anderen fehlen viele elementare Fluggesellschaften (Emirates, Etihad, Qatar, British Airways) – und es sind viele fachliche Fehler enthalten. Ganz abgesehen davon solltet ihr IMMER selbst Traubenzucker, Schokoriegel oder sonst etwas dabeihaben, eben was auch immer bei euch schnell wirkt. Aber auch hier habe ich noch keine Airline erlebt, die im Notfall keine Zuckersticks oder Orangensaft angeboten hat.

„Die vorherige Anmeldung des Diabetes ist erwünscht“

Hier wird mir immer wieder die Airline KLM genannt, seltener American Airlines und Air France. Merkwürdig nur: bei keiner der drei Gesellschaften gibt es ein Formular oder ähnliches um seinen Diabetes „anzumelden“. Ich bin schon vielfach mit allen genannten geflogen – und habe meinen Diabetes noch nie anmelden können. Ein DBML Menü bestellen ist kein Problem, aber mehr? Weder möglich noch erwünscht, wie mir eine American Airlines Mitarbeiterin sehr ausführlich geschildert hat.

„Fallen meine Pennadeln nicht bei der Sicherheitskontrolle auf? Darf ich diese wirklich mit an Bord nehmen?“

Bei deutlich mehr als 100 Kontrollen an Flughäfen auf allen Kontinenten dieser Erde kann ich eins definitiv sagen: kein Mensch bei den Kontrollen interessiert sich außergewöhnlich dafür. Es gibt ab und zu Nachfragen nach dem Motto „So viele?“ oder „Diabetes, hmm?“, aber ansonsten passiert da nichts. Auch das häufig angepriesene Attest führe ich zwar mit, habe es jedoch keine 2-mal bisher benötigt. Einen Sonderfall hatte ich mal in Hong Kong, da hielt man mich für einen Junkie und wollte mein 5-sprachiges Attest nicht lesen, aber das ist eine andere Geschichte… Ich weise auch mittlerweile nicht mehr proaktiv auf meine Utensilien hin und häufig interessieren die Sachen einfach niemanden im Detail.

„Mein Freestyle Libre fällt aber doch bestimmt auf?“

Nein. Selbst bei den Nacktscannern selten bis nie. Ab und zu (da ich ein Pflaster über dem Libre trage) wird nachgefragt. Ich weise dann darauf hin, dann ist gut. Auch hier muss man sich keine Gedanken machen. Auch die kreative Verbreitung, der Libre sei nicht bei allen Airlines erlaubt ist völliger Quatsch. Der Libre (und auch andere CGM Systeme etc.) arbeitet per NFC. NFC hat üblicherweise eine Reichweite von 10 cm und beeinflusst somit natürlich keine Bordelektronik.

„Im Flugzeug wird es sehr warm. Deshalb sollte das Insulin im Handgepäck auf längeren Flügen gekühlt werden. Ideal ist eine handliche Kühltasche. Unter Umständen besteht die Möglichkeit, es im Kühlschrank der Bordküche zu lagern.“

Eine der Aussagen bei denen ich mich frage ob die Verfasser in den letzten zwanzig Jahren je in einem Flugzeug saßen. Erstmal: „sehr warm“ ist ein weites Feld. Ich habe noch kein Flugzeug erlebt, in dem es mehr als 23 Grad waren – und da passiert dem Insulin gar nichts. Insulin in den Bordkühlschrank (sofern überhaupt möglich!) halte ich für eine vollkommen übertriebene Maßnahme, die lediglich dem Servicepersonal Arbeit bereitet, wenn ihr zwischendurch eure Sachen mehrfach benötigt. Die Kühltasche (oder Frio) wird häufig empfohlen, ich habe die auch mal genutzt und verzichte mittlerweile wieder komplett darauf. Warum? Selbst in Dubai, in Death Valley oder am Ayers Rock ist mir noch nie Insulin wegen der Temperaturen kaputt gegangen. Wenn ihr euch mit einer Frio sicherer fühlt nutzt sie, keine Frage. Aber bitte nicht nervös machen lassen!

„Am Flughafen steigt mein Blutzucker an, obwohl ich überhaupt nichts gegessen habe.“

Stimmt, geht mir auch so. Warum? Ganz einfach: die Nervosität beeinflusst den Blutzucker. Schaffe ich es den Anschlussflug zu erreichen? Geht alles gut? Kommt mein Gepäck mit? Usw usf. Dies alles erhöht auch bei mir gerne mal den Blutzucker. Tipp hier: ruhig bleiben, dann bleibt auch eurer Blutzucker im normalen Sektor. Aber das ist leichter gesagt als getan, gar keine Frage 😉
Insgesamt kann ich sagen, dass ich nur sehr selten Probleme im Flugzeug bzw. am Flughafen wegen meiner Diabetesutensilien hatte. Viele Dinge im Internet und leider auch in (Fach-)Zeitschriften sind total übertrieben oder schlichtweg falsch.

Deshalb: lasst euch nicht vom Reisen abhalten, es ist fast immer einfacher und unproblematischer wie man es erwartet und vermutet. Und es macht Spaß!

Bei Fragen schreibt gerne in die Kommentarfunktion!

BoardingArea